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Im Klinikalltag muss PD Dr. Gabriele Bonatz, Chefärztin der Frauenklinik, (zu) häufig von Gewalt an Frauen erfahren, die ihre psychischen oder physischen Misshandlungen teilweise erst spät realisieren. Zum Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen am 25. November ist sie "ZONTA Says No"-Botschafterin und ruft dazu auf, das Thema aus der Tabu-Zone zu holen und betroffene Frauen zu ermutigen, Gewalttaten zu melden.
Das ist ganz unterschiedlich. Frauen, die eine Vergewaltigung erlitten haben, suchen die Klinik entweder akut alleine mit oder ohne Vertrauensperson auf oder sie kommen in Begleitung der Polizei. Manche Patientinnen rufen erst am Folgetag nach einer Vergewaltigung an, nachdem sie ausgiebig geduscht haben. Obwohl das Bedürfnis, zu duschen und sich von den Spuren zu entledigen, nur zu verständlich ist, haben sie damit oft alle Beweismittel der Vergewaltigung beseitigt.
Manche Patientinnen kenne ich schon jahrelang, die erst nach mehreren Begegnungen den Mut finden über ihre Gewalterfahrungen zu sprechen.
Es geht aber bei häuslicher Gewalt ja nicht allein um sexuell motivierte Gewalttaten, sondern auch um Misshandlungen aller Art, die oftmals erst spät von den Frauen realisiert werden, z.B. wenn es sich um psychische Gewalt handelt.
Manche Frauen stecken in Abhängigkeitsverhältnissen und wissen nicht wohin, wenn sie sich retten wollen. An dieser Stelle sei auf die zentrale Bedeutung der Frauenhäuser hingewiesen. Hier können Frauen in Not Unterschlupf, Schutz, Kontakt zu anderen betroffenen Frauen und Verständnis finden. Bis es aber dazu kommt, dass sich Frauen aus ihrer Notsituation befreien, dauert es oft Jahre, denn die Hoffnung auf Verhaltensänderung des Partners stirbt zuletzt.
Mit Isolation der Familien während der Corona-bedingten Lockdowns hat sich die Lage zugespitzt. Damit haben nicht die Vergewaltigungen „auf offener Straße“, sondern nachweislich die Gewalttaten im häuslichen Umfeld stark zugenommen. Das ist leicht zu erklären, da viele Familien auf engstem Raum miteinander wohnen und kaum Ausweichmöglichkeiten wie Garten oder einen Raum für jeden haben. Wenn sich der Mann in einer Zweiraumwohnung im Homeoffice befindet und die Frau im anderen Raum zwei Kinder betreut, muss die Konfliktfähigkeit und die Gelassenheit schon enorm sein, um sich nicht auf den Geist zu gehen. Da braucht es nicht viel, dass die Nerven durchgehen. Und es gibt nun einmal unterschiedliche Charaktere.
Seit 1987 bin ich mit einer Kinder- und Jugendgynäkologischen Sprechstunde betraut, in der es häufig um sexuellen Missbrauch von Mädchen geht.
Ich möchte nicht über einzelne Geschichten aus der Sprechstunde berichten, die mich besonders angewidert haben.
Ein Thema aber das mich immer wieder beschäftigt hat ist folgendes:
Als junge Ärztin bin ich immer wieder in der Anamnese darauf gestoßen, dass Mütter sexuell missbrauchter Kinder häufig auch Missbrauchserfahrungen haben. Wenn man genau nachfragt oft auch die Großmütter. Ich habe mich damals gefragt, ob es möglicherweise genetisch bedingte oder angelernte Verhaltensweisen gibt, die einen sexuellen Missbrauch gewissermaßen provozieren. Für diesen Gedanken habe ich mich oft geschämt, konnte mir diese familiären Häufungen aber nicht anders erklären.
In den letzten Jahren aber hat es wissenschaftliche Untersuchungen gegeben, die diesen Gedanken in gewisser Weise untermauern; Offensichtlich können Missbrauchserfahrungen durch Epigenetik schon im Mutterleib weitergegeben werden und sich Traumata auf die nachfolgende Generation übertragen, so wie man es auch über Kriegstraumata weiß. Es handelt sich natürlich nicht um provokante Verhaltensweisen der Opfer, sondern vielmehr um eine unterbewusste Akzeptanz von Gewalt.
Ich halte die Aktion deswegen für wichtig, um dem Thema häusliche Gewalt und sexuelle Gewalt an Kindern und Frauen (Männer und Jungen können bekanntermaßen auch davon betroffen sein, nur habe ich als Frauenärztin damit kaum Berührungspunkte) eine laute und starke Stimme zu verleihen und es aus der Tabu-Zone zu holen. Den betroffenen Frauen muss Mut gemacht werden, sich aus den Fängen toxischer Beziehungen zu befreien, die Gewalt zu erkennen und sich dieser zu entziehen, letztendlich diese ggfs. auch zur Anzeige zu bringen. Hier sind niederschwellige Beratungsangebote und Hilfsinstitutionen von besonderer Wichtigkeit. Auf eine verlässliche Finanzierung sind diese Hilfsstellen angewiesen, um den Frauen, die sie nach oft langanhaltendem Martyrium aufsuchen, zur Seite stehen zu können. Hierzu gehören v.a. auch die Frauenhäuser, deren Finanzierung auf festem Boden stehen muss!
Politik und Rechtsprechung muss massiv und mit Nachdruck deutlich gemacht werden, dass häusliche Gewalt nicht zu den Kavaliersdelikten gehört, sexuelle Gewalt an Kindern und Frauen mit Höchstmaß bestraft werden muss.
Bei Verdachtsmomenten oder offensichtlicher Gewalt nicht wegzuschauen, sondern Hilfe anzubieten oder zu holen, ist Aufgabe der Gesellschaft. Die Gesellschaft hat Sorge dafür zu tragen, dass von Gewalt betroffene Frauen verlässlich und nachhaltig Hilfestellung bekommen, sei es durch Beratung, Hilfe bei der Unterbringung und Hilfe bei Gerichtsverfahren.
Wir bieten Frauen tags und nachts eine Anlaufstelle nach Sexualdelikten. Es ist ein standardisiertes Vorgehen festgelegt, das die Spurensicherung betrifft. Für Frauen, die sich noch nicht festlegen können, ob sie eine Anzeige erstatten wollen, bieten wir eine anonyme Spurensicherung an. Die Beweismittel werden in der Rechtsmedizin verschlüsselt aufbewahrt und können im Bedarfsfall herangezogen werden. Auch für die anonyme Spurensicherung, die auch andere Kliniken anbieten, ist keine verlässliche Finanzierung gegeben.
Darüber hinaus biete ich eine kinder- und jugendgynäkologische Sprechstunde an, die bei V.a. sexuellen Missbrauch aufgesucht werden kann. In einer solchen Sprechstunde geht es aber im Allgemeinen nicht um Spurensicherung oder beweiskräftige Befunderhebung, sondern vielmehr darum, den betroffenen Mädchen ein Stück der Integrität ihres Körpers wiederzugeben. Körperliche Verletzungen sind bei langanhaltendem, sog. chronischen Missbrauch meistens nicht zu erkennen, die Verletzungen betreffen die Seele, die zutiefst erschüttert und verletzt ist. Da kann ich als Frauenärztin nur wenig helfen, da sind Psychotherapeuten wichtiger.